Ärztetreffen: „Die Sorge als identitätsstiftendes Element der Medizin“

, Stadtdekanat Münster

Medizin wird über die Sorge erst zur Medizin, denn ohne Sorge wäre Medizin nur Reparatur. Diese These, formuliert von Professor Dr. Giovanni Maio vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin in Freiburg, stand im Mittelpunkt des Ärztetreffens am 11. Mai in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster. Rund 150 Ärztinnen und Ärzte diskutierten mit dem Arzt und Philosoph über „die Sorge als identitätsstiftendes Element der Medizin“. 

Der Medizinethiker Giovanni Maio sprach sich für eine Medizin aus, die den ganzen Menschen behandelt und „Laborwissen und Lebenswelt“ kombiniert.

© Bistum Münster

Zu dem Treffen eingeladen hatte Münsters Bischof Dr. Felix Genn, der in seiner Begrüßung den anwesenden Ärzten sowie allen Mitarbeitenden im Gesundheitswesen für ihren Einsatz, ihre Geduld und für das Mittragen der vielen Sorgen und Nöte der Menschen besonders während der Pandemie dankte. „Sie stehen für die Sorge ein“, betonte er, nicht wenige seien dabei in den vergangenen Jahren über ihre persönlichen Grenzen hinausgegangen. 

Ein verheerendes Zeugnis stellte Maio dem deutschen Gesundheitssystem in seinem Vortrag aus. Medizin und Pflege würden zunehmend allein nach ökonomischen Gesichtspunkten bewertet, die moderne Medizin gleiche eher einer Ingenieurwissenschaft für den Menschen. Aufmerksamkeit und Zeit, Wertschätzung und authentische Sorge um den Kranken – all das komme in der heutigen Medizin zu kurz, verdeutlichte der Medizinethiker und sprach sich für eine Medizin aus, die den ganzen Menschen behandelt und „Laborwissen und Lebenswelt“ zusammenbringe.

Als Antwort auf die grundlegende Verletzlichkeit des Menschen stellte Maio eine Haltung und Kultur der Sorge in den Raum – und deckte ein Missverständnis auf: So werde die Sorge oft mit Bevormundung durch aufdringliche Fürsorge verbunden. Dabei meine sie das Gegenteil und ermögliche gar Autonomie. „Sorge tragen kann man nur auf Augenhöhe“, betonte er. Sie müsse immer als Antwort auf die konkrete Not des anderen gesehen werden, „und diese Antwort kann sich nicht einfach im Ziehen einer Schublade erschöpfen“. Sie müsse vielmehr dialogisch in jeder Situation neu abgestimmt werden. Die Begegnung zwischen Arzt und Patient diene somit dazu, Perspektiven zusammenzubringen, um dann in eine gemeinsame Richtung weiterzugehen. 

Als weiteres Charakteristika der Sorge nannte Maio den Beistand, für dessen Umsetzung das medizinische Personal vor allem Zeit benötige. Die „Durchökonomisierung der Medizin“ müsse gestoppt werden, forderte der Medizinethiker, damit die Medizin als ein sozialer Bereich begriffen werden könne, in dem das Verstehen der individuellen Not des Einzelnen im Vordergrund steht. Nur so könne die Hoffnung des hilfsbedürftigen Menschen erfüllt werden: „Dass da jemand ist, der nicht nur viel Fachwissen hat und Fertigkeiten beherrscht, sondern der eine innere Bereitschaft hat, mich wirklich zu verstehen.“ Maios Ausführungen bildeten die Grundlage für die anschließende Diskussion, die von Dr. Peter Kleine-Katthöfer aus Münster moderiert wurde.

Ann-Christin Ladermann